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3.3 Morphologische Merkmale der Polytänchromosomen


Aus früheren Arbeiten ist bekannt, daß die Morphologie der Polytänchromosomen von Phaseolus coccineus sehr variabel sein kann, was sowohl ihre Gesamtlänge als auch die Verteilung heterochromatischer Banden/Querscheiben im Euchromatin betrifft (Nagl 1965; Nagl 1967; Nagl 1981).

Es wurde daher nach anderen Merkmalen gesucht, die eine verläßlichere Klassifizierung der Chromosomen als bisher ermöglichen. Insbesondere sollte eine individuelle Identifikation der Polytänchromosomen in Präparaten nach Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung (FISH) ermöglicht werden. Die Präparate für die Karyotypisierung wurden daher derselben Vorbehandlung mit RNase und Pepsin/HCl unterzogen wie die FISH-Präparate und mit DAPI bzw. einem bei der FISH gebräuchlichen Gemisch aus DAPI und Propidiumiodid gefärbt.

3.3.1 Centromernahes Heterochromatin (cHC)

Sowohl im Phasenkontrast als auch in der DAPI-Fluoreszenz war auffällig, daß von der morphologischen Variablität der Polytänchromosomen vor allem die euchromatischen Bereiche betroffen waren. Demgegenüber zeigte sich die Ausprägung des centromernahen Heterochromatins (cHC) als vergleichsweise konstant. Insbesondere konnten an den cHC-Bereichen vier verschiedene Merkmale festgestellt werden, die eine individuelle Identifizierung der Chromosomen erlaubten (Abbildung 6):

  1. Die Lage des Centromers
  2. Ein oder zwei Banden, die sich mit DAPI stärker anfärben ließen als das restliche cHC
  3. Eine oder mehrere sekundäre Einschnürungen
  4. Bereiche mit Verbreiterung, d.h. die deutlich breiter bzw. beidseitig überstehend erscheinen

Abbildung 6: Schematische Darstellung der vier Merkmale des centromernahen Heterochromatins (cHC) die zur Identifizierung der Polytänchromosomen von Phaseolus coccineus cv. Preisgewinner verwendet wurden.

Die beiden erstgenannten Merkmale, die Lage des Centromers und die der DAPI-Banden, waren bei allen 11 Chromosomen zu beobachten. Allgemein ist der Bereich des Centromers (Cen) durch eine deutliche Einschnürung charakterisiert, die auch als "primäre Einschnürung" bezeichnet wird (Darlington 1937). Bei zwei Chromosomen lag das Centromer mittig innerhalb des cHC während es bei den übrigen Chromosomen das cHC asymmetrisch teilte. In unterschiedlichen Abständen vom Centromer ließen sich im cHC DAPI-Banden beobachten, die aufgrund ihrer stärkeren Fluoreszenz aus dem sie umgebenden cHC hervortraten. Jedes Chromosom wies zumindest eine solche Bande auf, manche Chromosomen auch zwei. Wenn zwei DAPI-Banden vorkamen, war eine Bande stärker gefärbt (starke DAPI-Bande = sDB) als die andere Bande (schwächere DAPI-Bande = wDB).

Die beiden anderen Merkmale, sekundäre Einschnürungen (sES) und beidseitig überstehende Abschnitte des cHC, traten unabhängig voneinander nur bei einigen Chromosomen auf.

Wichtig ist anzumerken, daß sich die Lage des Centromers, die sekundären Einschnürungen und die beidseitig überstehenden Abschnitte auch ohne Vorbehandlung erkennen ließen. Die starken und schwachen DAPI-Banden jedoch, lassen sich erst nach der Pepsin-Vorbehandlung deutlich vom Rest des cHC unterscheiden.

Die chromosomenspezifische Ausprägung der Merkmale des cHC erlaubte auch dann noch eine Identifikation der meisten Chromosomen, wenn die Kerne unvollständig waren. Dies ist besonders wichtig, da nur selten alle Chromosomen eines Kerns auf dem Präparat verbleiben.

Färbung mit DAPI und Propidiumiodid

Es zeigte sich, daß sich verschiedene Abschnitte der Polytänchromosomen mit einem Gemisch aus DAPI und Propidiumiodid (DAPI/PI) differentiell anfärben ließen (Abbildung 7). Dazu wurden die Präparate über Nacht (oder länger) in der Färbelösung inkubiert und bei UV-Anregung mit einem Filtersatz für die DAPI-Fluoreszenz betrachtet.

Euchromatische Bereiche wiesen danach eine dunkelblaue Färbung auf. Centromerisches und telomerisches Heterochromatin (Abschnitt 3.3.3) hingegen erscheinen rosa. Besonders auffällig waren weiße Banden im rosa gefärbten cHC-Bereich einiger Chromosomen. Ihre Lage entsprach der starken DAPI-Banden (s.o.). Bei der DAPI/PI-Färbung hoben sich die starken DAPI-Banden somit nicht nur aufgrund ihrer größeren Helligkeit, sondern auch durch ihre farbliche Differenzierung deutlich vom Rest des cHC ab.

Abbildung 7: Differentielle Färbung der Polytänchromosomen von Phaseolus coccineus cv. Preisgewinner mit einem Gemisch aus DAPI und Propidiumiodid bei UV-Anregung im Filtersatz für DAPI-Fluoreszenz. Euchromatin ist dunkelblau, Heterochromatin ist rosa bzw. weiß gefärbt. Ein Chromosom K ist hier bei der Präparation auseinandergerissen (Doppelpfeil). Maßstab entspricht 10 µm.

3.3.2 Nukleolus-organisierende Region

In vollständigen Kernen wurden immer 6 Chromosomen mit jeweils einer terminal gelegenen Nukleolus-organisierenden Region (NOR) beobachtet. Meist war ein Teil jeder NOR stark dekondensiert, und mehrere solcher stark aufgelockerter Bereiche bildeten zusammen einen großen Sammelnukleolus. Dieser ließ sich aufgrund seiner Größe und Struktur bereits ohne Vorbehandlung und Färbung im Phasenkontrast-Mikroskop erkennen (Abbildung 8). Die Form eines Sammelnukleolus war variabel und reichte von nahezu kreisförmig bis unregelmäßig. Anstelle eines Sammelnukleolus aus 6 NORs kamen auch entsprechend mehrere kleinere Sammelnukleoli vor, die dann aus den NORs von nur 2 bis 5 Nukleolus-organisierenden(NO)-Chromosomen bestanden. Ebenso konnten in einem Kern ein oder mehrere kleinere Sammelnukleoli vorkommen und dennoch einzelne NO-Chromosom einen eigenen Nukleolus ausbilden. Daß aber alle 6 NO-Chromosomen jeweils einen separaten Nukleolus ausbildeten, wurde nicht beobachtet.

Abbildung 8: Sammelnukleolus mit sechs Nukleolus-organisierenden Chromosomen (Paar A, I und K). Die kleinen punktförmigen schwarzen Strukturen (Pfeile) werden von telomerischem Heterochromatin gebildet (s. Abschnitt 3.3.3). SNuk= Sammelnukleolus. Maßstab entspricht 10 µm.

3.3.3 Telomerisches Heterochromatin (tHC)

An den Enden fast aller Polytänchromosomen ließen sich punktförmige Verdichtungen von Chromatin erkennen, die im Phasenkontrast schwarz bzw. in der DAPI-Fluoreszenz sehr hell erschienen (vgl. Abbildung 8 und Abbildung 9). In ihrem Vorkommen und ihrer Ausprägung entsprechen die punktförmige Verdichtungen dem von Schweizer (1976b) beschriebenen telomerischen Heterochromatin. Die einzelnen "Punkte" des telomerischen Heterochromatin (tHC) lagen je nach Kondensationzustand des umgebenden Chromatinbereiches unterschiedlich dicht zusammen (vgl. Abbildung 9b). War das Chromatin aufgelockert, so waren die punktförmigen Strukturen des tHC einzeln erkennbar (Pfeile). Erschien das Chromatin in unmittelbarer Umgebung des tHC jedoch kondensiert, bildeten die punktförmigen Sturkturen des tHC eine dicht gepackte Anhäufung. Diese Anhäufungen konnten verschiedene Formen annehmen, wie z. B. die einer Bande in Abbildung 9b (siehe Pfeilspitze).

Bei den NO-Chromosomen mit ihrem stark aufgelockerten Chromatinanteil der NOR liegt das punktförmig tHC scheinbar "auf" dem Nukleolus (vgl. Abbildung 9a, links). Vermutlich wird das tHC beim Dekondensieren der NOR zur Seite gedrängt und kommt nach dem Quetschen daher auf dem Nukleolus zu liegen.

Abbildung 9: Telomerisches Heterochromatin (tHC) bei Polytänchromosomen von Phaseolus coccineus cv. Preisgewinner. (a) punktförmige Strukturen des tHC (Pfeile) am Ende eines Chromosoms A im Phasenkontrast (links) und eines anderen Chromosoms A in DAPI-Fluoreszenz (rechts). Bei dem Chromosom im Phasenkontrast (links) scheint das tHC auf dem Sammelnukleolus (SNuk) zu liegen. (b) Je nach Auflockerungszustand des umgebenden Chromatinbereiches können die punktförmigen Verdichtungen des tHC einzeln erkennbar (Pfeile) oder aber dicht gepackt (Pfeilspitze, links oben) sein. Maßstab entspricht 10 µm.

3.3.4 Polytäne Strukturen

Bänderung

Eine Querbänderung der Polytänchromosomen war nur relativ selten an ein bis zwei Chromosomen pro Kern zu beobachten. Die Bänderung dehnte sich in der Regel nicht über die gesamte Länge aus, sondern war auf unterschiedlich große Teilbereiche beschränkt (Abbildung 10a).

Vielsträngige Längsstruktur

Der vielsträngige Aufbau von Polytänchromosomen aus zahlreichen dicht nebeneinander liegenden Chromatiden ist im allgemeinen im Lichtmikroskop aufgrund des zu geringen Auflösungsvermögens nicht direkt erkennbar. Stark aufgelockerte Euchromatinbereiche, hauptsächlich bei Chromosom A, lassen allerdings manchmal den vielsträngigen Chromatidencharakter erahnen (Abbildung 10b).

Abbildung 10: Bänderung und vielsträngige Längstruktur der Polytänchromosomen von Phaseolus coccineus cv. Preisgewinner nach Färbung mit DAPI. (a) Bänderung in einem Teilbereich eines Polytänchromosoms. Die Vergrößerung zeigt den Ausschnitt sowohl der DAPI-Fluoreszenz als auch im Phasenkontrast. (b) Stark aufgelockerte Euchromatinbereiche von Chromosom A mit einem Bereich in dem die vielsträngige Längsstruktur sichtbar wird (Pfeilspitze). Maßstab entspricht jeweils 10 µm.


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