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1.2 "Klassische" Polytänchromosomen


1.2.1 Dipteren

Die bekanntesten Vertreter der klassischen Polytänchromosomen stammen aus Speicheldrüsen der Larven einiger Chironomiden (Zuckmücken) und von Drosophila (Obst-/Taufliege). Zwar kommen Polytänchromosomen auch in Zellen der Malpighi-Gefäße, Borstenbildungszellen und Trophozyten dieser Dipteren vor, aber die Chromosomen in den Speicheldrüsen weisen eine sehr hohe Zahl von Chromatiden auf (beide Homologen zusammen: 2048 bei Drosophila melanogaster, 16384 bei Chironomus tentans). Dadurch erreichen sie eine beachtliche Dicke von 15 µm bei Ch. plumosus und immerhin 2,8 - 4,0 µm bei D. melanogaster. Dies erlaubt es, ihre chromosomenspezifische Bänderung bereits im Lichtmikroskop zu untersuchen. Ferner wurde bereits sehr früh begonnen, genetische Merkmale der zahlreichen Mutanten von Drosophila zu kartieren und diese genetische Information mit den cytologisch sichtbaren Merkmalen auf den Chromosomen zu korrelieren. Damit ist auch verständlich, daß die Speicheldrüsenchromosomen von Drosophila und Chironomus zu den bestuntersuchten Objekten in der cytogenetischen Forschung zählen (Übersicht bei Sorsa 1988).

Obgleich gebänderte Polytänchromosomen erstmals 1881 von Balbiani in Speicheldrüsen der Larven von Chironomus plumosus entdeckt wurden, ist ihr Vorkommen nicht auf diese Insektengruppe beschränkt. Zählt man außer den klassischen Polytänchromosomen auch die ohne Querstrukturierung hinzu, kommen sie in fast allen Organismen-Gruppen, vom Einzeller, über Blütenpflanzen, anderen Insekten, bis hin zu Säugetieren vor (Nagl 1978; Übersichten bei Zhimulev 1996).

Obwohl das Bandenmuster bereits bei der Erstbeschreibung als charakteristisches Merkmal auffiel, begannen die cytogenetischen Untersuchungen erst, als Kostoff (1930) den direkten Zusammenhang zwischen Bandenmuster und der linearen Anordnung der Gene entdeckte. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte man nur genetische Kopplungs-Karten und orientierte sich an den permanten Puffs (nach ihrem Entdecker "Balbiani-Ringe" genannt) sowie an den in bestimmten Stadien auftretenden temporären Puffs. Nach Kostoffs Entdeckung wurden die Bandenmuster auch zur Kartierung und Charakterisierung der Polytänchromosomen herangezogen (Painter 1933). Zeitgleich kamen Painter (1933) sowie Heitz und Bauer (1933) zu der fundamentalen Erkenntnis, daß die Polytänchromosomen nicht aus einer einzigen, sondern aus vielen homologen Chromatiden zusammengesetzt sind, die Seite an Seite beieinander liegen. Zwei Jahre später stellte Bridges eine weitere komplette Karte mit einem Referenzsystem zur Identifizierung der Banden für Drosophila melanogaster auf (Bridges 1935). Er teilte die Speicheldrüsenchromosomen in insgesamt 102 Abschnitte mit sechs Unterabschnitten A-F auf. Dieses System wurde auch zur Kartierung der Polytänchromosomen anderer Dipteren verwendet. Vierzig Jahre später stellte Lefevre eine Karte zur einfacheren Orientierung und Interpretation vor, die nicht mehr aus Kamera-Lucida-Zeichnungen bestand, sondern sich aus vielen einzelnen lichtmikroskopischen Fotos zusammensetzte (Lefevre 1976). Man kennt heute auf den vier Polytänchromosomen von Drosophila (ohne X und Y) insgesamt ca. 5000 Banden, die ausschließlich in den euchromatischen Bereichen vorkommen. Charakteristisch für die Polytänchromosomen aller Dipteren ist, daß die beiden homologen Chromosomen gepaart sind und sie daher im cytologischen Präparat in der haploiden Anzahl auftreten. Als weitere Besonderheit bei verschiedenen Arten von Drosophila (z. B. D. melanogaster, D. virilis) kommt hinzu, daß die vier polytänen Chromosomenpaare mit ihrem centromerischen Heterochromatin ("Chromocentrum") zusammenhängen (Übersicht bei Sorsa 1988).

1.2.2 Ciliaten

Ciliaten besitzen zwei Typen von Kernen (Kern-Dualismus). Der Mikronukleus ist meist sehr klein, weist in der Regel nur den diploiden DNA-Gehalt auf und synthetisiert kaum RNA. Der Makronukleus ist deutlich größer, hat mehr DNA als der Mikronukleus und versorgt die Zelle während der vegetativen Periode mit RNA.

Im Laufe der komplexen Abläufe der sexuellen Reproduktion werden sog. Makronukleus-Anlagen gebildet, aus denen am Ende wieder ein neuer Makronukleus ensteht. Bei verschiedenen Gattungen wie z. B. Stylonychia, Euplotes und Oxytricha kommen darin für eine begrenzte Zeit ähnlich gebänderte Polytänchromosomen vor wie bei Dipteren (Balbiani 1890). Allerdings bleiben sie bei Ciliaten nicht erhalten, sondern zerfallen bald wieder in kleine Segmente, von denen anschließend 90% eliminiert werden (Ammermann 1971). Die Identifizierung der zahlreichen Polytänchromosomen gestaltet sich bis heute als äußerst schwierig, da sie die Tendenz haben, sich hintereinander zu hängen und sog. "assembled chromosomes" zu bilden (Zhimulev 1996). Die Gesamtlänge kann dabei beachtliche Werte annehmen: 8750 - 9140 µm bei Euplotes aediculatus im Vergleich zu 765 µm bei Drosophila melanogaster (Ammermann 1971; Hochstrasser und Sedat 1987)


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